Vertrauenskrise – warum das Homeoffice-Experiment scheitern muss

Wer genau hinsieht, stellt fest, dass wir uns in einer Vertrauenskrise befinden. Besonders deutlich wird das an dem Vertrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Das ist nichts Neues, wie aktuelle Studien zeigen. Aber es wird zu einem neuen Problem, denn anders als vor der Krise sind Vorgesetzte durch die Arbeit im Homeoffice gezwungen, Kontrolle abzugeben und loszulassen. Und genau das braucht Vertrauen.

In mehr als 350 Interviews mit Wissenschaftlern und Experten hat Business-Coach und Vertrauensexpertin Eva Schulte-Austum weltweit erforscht, was Vertrauen ist, und wie es auch in Unternehmen gelingen kann. Dabei ist sie auf drei Merkmale gestoßen, welche die Fähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen, ausmachen: Kontrolle abgeben, Unsicherheit akzeptieren und eine positive Erwartungshaltung an das Gegenüber.

Führungskräfte, die diese drei Punkte beherrschen, tun sich erfahrungsgemäß leicht damit, Aufgaben zu delegieren, Verantwortung abzugeben und ein Wir-Gefühl im Team zu fördern. Doch Eva Schulte-Austums Erfahrung als Führungskräfte-Coach zeigt: Gerade deutschen Führungskräften fällt Vertrauen in der Praxis schwer.

Symptome der Vertrauenskrise

Wer nicht vertrauen kann, der wird auch jetzt Wege finden, sein Kontrollbedürfnis in die digitale Welt zu übertragen. Nicht ohne Grund haben Kontrollanrufe im Homeoffice, Einsatz von Wirtschafts-Detektiven und computergestützte Überwachungsprogramme derzeit Hochkonjunktur. Wie sich letzteres auf Mitarbeiter auswirkt, zeigte jüngst das Experiment des Journalisten Adam Satariano von der New York Times. Dazu testete er zwei Wochen lang ein Programm, das alle Aktivitäten an seinem Computer erfasste. Jede E-Mail, jeder Seitenaufruf, sogar die Stillstandzeit der Tastatur wurden protokolliert. Fazit: Auch wenn er sich freiwillig überwachen ließ und seine Daten nicht an den Vorgesetzten weitergegeben wurden: Am Ende der 14 Tage fühlte er sich erschöpft, lustlos und demotiviert. Das lässt erahnen, welche Folgen übermäßige Kontrolle tatsächlich für die Produktivität von Arbeitnehmern hat.

Das deutsche Führungsproblem

Führung braucht Vertrauen. Und doch: Wer kennt nicht mindestens einen Vorgesetzten, der seinen Mitarbeitern ständig über die Schultern schaut und auch im Urlaub über alles informiert werden will. Dabei mangelt es diesen Menschen selten an Wissen, wie sich Aufgaben abgeben lassen. Schließlich gibt es kaum ein Führungskräfte-Training, das dazu nicht ein paar schlaue Impulse beisteuert. Der Grund, warum Delegieren in der Praxis so häufig scheitert, ist ein anderer: Es mangelt an Vertrauens-Kompetenz.

Viele Führungskräfte hierzulande haben nie gelernt, mit Unsicherheit und Risiken umzugehen, sprich zu vertrauen. Damit befinden sich diese übrigens in bester Gesellschaft. Die Forschung zeigt: Wir Deutschen sind nicht gerade Vertrauens-Weltmeister. Im Vergleich zu Menschen in Schweden, Dänemark und den Niederlanden sind Deutsche vergleichsweise risikoscheu und haben ein großes Kontrollbedürfnis. Da ist es wenig überraschend, dass Führungskräfte in der Krise versuchen, sich durch mehr Kontrolle ein Stück Sicherheit zurückzuholen. Ein Trugschluss mit weitreichenden Folgen.

Die Kosten der Vertrauenskrise

Den Preis, den Führungskräfte und Mitarbeiter für übermäßige Kontrolle zahlen, ist enorm hoch:

Schwindende Motivation

Sinkende Produktivität

Steigender Krankenstand

Zunehmende Fluktuation

Erhöhtes Stresslevel

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Nicht umsonst sagt ein dänisches Sprichwort:

Vertrauen ist gut. Kontrolle ist teurer.

Denn mit zunehmender Kontrolle explodieren die Kosten. Wer sich schon mal darin versucht hat, der wird wissen: Kontrolle kostet viel Zeit, sehr viel Energie und noch mehr Nerven. Und am Ende bewirkt sie genau das Gegenteil: Denn ohne es zu wollen erziehen Führungskräfte mit ständiger Überwachung ihre Mitarbeiter zu trägen, verantwortungsscheuen und entscheidungsschwachen Menschen.

Die Dividende des Vertrauens

Die gute Nachricht: Vertrauen lässt sich wie einen Muskel trainieren. Mit jedem Mal, bei dem wir Vertrauen verschenken, wächst der Muskel. Vorausgesetzt, wir machen positive Erfahrungen. Im Laufe der Zeit fällt es uns damit immer leichter, Unsicherheit auszuhalten und Kontrolle abzugeben. Die eigene Vertrauensfähigkeit wird damit zur Grundvoraussetzung, damit Delegieren und Führung auf Distanz gelingen können.

3 Tipps, wie Sie Ihren Vertrauensmuskel trainieren

Trauen Sie anderen etwas zu

Menschen wachsen über sich selbst hinaus, wenn man Ihnen Vertrauen schenkt.

Klären Sie frühzeitig Erwartungen

So vermeiden Sie Missverständnisse, beugen Konflikten vor und sorgen für ein gutes Arbeitsklima.

Geben Sie einen Vertrauensvorschuss

Machen Sie den ersten Schritt und schenken Sie Vertrauen. Dafür werden Sie mit positiven Erfahrungen, Dankbarkeit und Vertrauen belohnt.

Führungskräfte bekommen langfristig die Mitarbeiter, die Sie verdienen.

Die Forschung bestätigt das. Investieren Sie deshalb heute in die Mitarbeiter, mit denen Sie morgen zusammenarbeiten wollen. Es lohnt sich.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Vertrauen im Arbeitsumfeld gemacht? Wann wurde Ihnen das letzte Mal Vertrauen geschenkt? Wann haben Sie das letzte Mal jemandem vertraut?

Ich freue mich auf Ihre Kommentare.

Ihre Eva Schulte-Austum

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