Die Reorganisation im Unternehmen vom Mono- zum Omnichannelvertrieb startet mit dem Wissen um Ursprünge und Entwicklungen. Eine kluge Vertriebsorganisation steigert nicht nur den Umsatz, sondern auch die Customer Experience. Thorsten Küppers, Head of International Inside Sales Strategy bei der Berner Omnichannel Trading Holding SE, nimmt Sie mit auf seine Vertriebsreise.
Solide, selbstbewusst, sakrosankt – so steht er da, der deutsche Mittelstand aus Industrie und Handel. Unzählige Hidden Champions, Erfindergeist, Bodenhaftung. Den mittlerweile etwas staubigen Wirtschaftswunderzeitgeist der 1950er und 1960er Jahre hier und da noch nicht ganz von den Schuhen geklopft. Portraits meist aristokratischer und in Würde gealterter oder bereits verstorbener Unternehmensgründer in den Eingangsportalen oder Konferenzräumen der Stammsitze global agierender Konzerne, bei denen die Klassifizierung „Mittelstand“ meist nur noch sympathisches Understatement ist.
Oft sitzt die zweite Generation bereits in der Chefetage, treibt Digitalisierung, strebt nach Expansion, erobert neue Märkte – die Unternehmensväter oder -Mütter müssen als graue Eminenz richtungsweisende Entscheidungen und technische Evolutionen jedoch noch immer absegnen.
Wir alle kennen die legendenhaften Überlieferungen, nach denen die damaligen Jungunternehmer der Nachkriegszeit Chancen beim Schopfe ergriffen und mit tatkräftigem Pragmatismus höchstselbst im (meist klapprigen) eigenen PKW die ersten Kundenbesuche absolviert und damit den Grundstein für den späteren wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens gelegt haben. Danach ging alles meist rasend schnell. Innerhalb weniger Jahrzehnte nationale Marktdurchdringung, internationale Expansion. Der Hauptvertriebskanal? Der deutsche Mittelstand war Außendienst.
Und lange musste er auch gar nichts anderes sein. Zu Zeiten, in denen das Internet noch längst nicht erfunden und Telefone sperrige Bakelit-Apparate mit Wählscheiben und Spiralkabeln waren, gab es die technischen Voraussetzungen für E-Commerce und Telesales eben einfach nicht. Klar, da war bereits der Inbound-geprägte telefonische Kundenservice, über den Fehllieferungen reklamiert und Produktspezifikationen erfragt werden konnten. Die Touchpoints zu den Kunden waren jedoch hauptsächlich der regelmäßige Besuch des Außendienstes, per Post oder Fax versandte Flyer und Sonderangebote, Kataloge und Preislisten sowie der persönliche Kontakt auf Messen und Veranstaltungen.
Nachrückende Generationen in Unternehmensleitungen, neue Kommunikationsmöglichkeiten wie das World Wide Web, E-Commerce, Handy, Mobile Computing und Co., rasant wachsende Datentransparenz, Analysemöglichkeiten und Softwarelösungen, die Globalisierung von Lieferketten und nicht zuletzt steigende Ansprüche an Geschwindigkeit, Erreichbarkeit und Servicelevel. Daraus resultierten zu Beginn der 2000er Jahre die Omnichannel- Vertriebsmodelle. Zunächst für den Einzelhandel mit dem Ziel, den Kunden in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Handelns und Denkens zu stellen. Schnell wurde klar, dass mit Hilfe zusätzlicher Vertriebskanäle wie Telesales und E-Commerce neues Absatzpotential erschlossen werden können, die für „nur-Außendienst-Organisationen“ kaum erreichbar sind. Die Kosten pro Interaktion mit dem Kunden sind per Telefon oder Internet um Faktoren geringer als der physische Besuch des Field-Sales. In der Folge konnten nun auch lower-Value- und Kleinstkunden in vielen Unternehmen gewinnbringend adressiert und die Kontaktfläche zum Markt um ein Vielfaches vergrößert werden.
Auf der Basis verschiedener Bewertungs- und Scoringverfahren, werden Kunden, gemäß ihrem Wert für das Unternehmen, zu verschiedenen Clustern und Vertriebskanälen zugeordnet. Dabei wird besonders darauf geachtet, dass der Umsatz und oder das Potential je Kunde mit den Interaktionskosten in einem betriebswirtschaftlich gesunden Verhältnis steht.
Häufig fällt dabei auf, dass aktuelle Bestandskunden in der Außendienstbetreuung unterm Strich keinen Wert für das Unternehmen – nicht selten sogar Verluste – generieren. Die Vertriebskosten übersteigen dabei die Deckungsbeiträge und die erhoffte Umsatzentwicklung findet auf Basis des analysierten Kundenpotentials nicht statt. Ein genauer Blick in das Sales-Controlling macht deutlich, dass bis zu 80% der Kundenbesuche oft nur circa 20% oder weniger des Kanalumsatzes gegenüberstehen! Im Umkehrschluss bedeutet das: Den Vertriebskosten steht ein zu geringer Umsatz gegenüber.
Oder ganz plakativ: Würden im realen Beispielszenario die Vertriebskosten im Außendienst um 60% gesenkt, sprich das Personal abgebaut werden, würde der Umsatz um lediglich 10% sinken. Natürlich nur, wenn nicht eine einzige Order über andere Kanäle platziert würde. Das sagt zunächst noch nichts über die Profit-and-Loss Betrachtung aus. Oft stellt man aber beim klärenden Blick fest, dass ein signifikant hoher Anteil der Interaktionen mit dem Kunden zwar Revenue, aber keinen Profit erwirtschaftet.
Die Lösung ist klar: Die entsprechenden Kunden sollten passenden Vertriebskanälen mit geringeren Vertriebskosten zugeordnet werden. Damit wird wieder eine positive Customer Contribution Margin erzielt. Dieser Vorgang betrifft zum Teil auch Kunden, die in der aktiven Betreuung durch den Außendienst liegen (siehe Beispiel oben). Nicht selten mit der Folge, dass der zuständige Mitarbeiter oder die -Mitarbeiterin sich sträuben, „ihren“ Kunden in einen anderen Vertriebskanal zu übergeben.
Schließlich bedeutet auch ein Kunde mit einem für das Unternehmen negativen P&L-Beitrag letztlich Umsatz. Für die Außendienstmitarbeiter, deren Einkommen aus variablen Gehaltsbestandteilen incentiviert wird, hat jeder Kunde einen realen Wert.
Die Unternehmensleitung tut sich zudem manchmal schwer, den Kanal Field Sales mit einem internen Wettbewerb um Kunden und Umsatzanteile zu konfrontieren. Schließlich ist das Unternehmen doch mit dem Außendienst erst groß geworden. Das Auto im Kopf.
Hinzu kommen nicht selten emotionale Aspekte, wenn zu den betroffenen Kunden bereits eine jahrelange – nicht selten auch persönliche – Beziehung aufgebaut wurde. Das Top-Management muss zwischen ökonomisch sinnvollem Channel-Assignment und einer Field-Sales Organisation abwägen, die sich leise oder laut gegen jeden „verlorenen“ Kunden sperrt.
Den Blueprint aus der Schublade gibt es nicht. Die Integration zusätzlicher Vertriebskanäle bedeutet für jedes Unternehmen einen umfassenden Change Prozess, der ernst genommen werden und oberste Priorität haben muss. Hintergründe sollten transparent sein und die konkreten Auswirkungen erläutert werden. Richtig aufgesetzt und kommuniziert, ist der Omnichannel Vertrieb Vorteil für alle Beteiligten. Für den Kunden, weil er nicht mehr auf den Besuch des Mitarbeiters warten muss und den Vertriebsinnendienst per Hotline, E-Mail oder digital jederzeit erreichen kann. Für den Außendienst, weil die eingesparte Zeit in die Akquise von Neukunden oder die intensive Entwicklung von Bestandskunden investiert werden kann und somit letztendlich erfolgreicher ist. Für das Unternehmen, weil die Kontaktfläche zum Markt sinnvoll vergrößert und alle Kundensegmente betriebswirtschaftlich vernünftig adressiert werden können.
Dieser Prozess ist zeitintensiv und für alle Beteiligten aufwändig. Die wichtigste Voraussetzung ist die uneingeschränkte Überzeugung des Managements und der Führungskräfte im Unternehmen. Ebenso wichtig ist eine Rollout-Strategie, die auch die indirekten Folgen in Betracht zieht. Sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Außendienst in der Lage, Bestandskunden zu entwickeln und Neukunden zu akquirieren? Bildet das Controlling die richtigen Kennzahlen für eine Omnichannel- Vertriebsorganisation ab, oder werden die Kanäle noch als Silos gesehen und gemessen? Passt die bestehende IT-Infrastruktur inklusive des CRM zum neuen Ansatz? Und nicht zuletzt: Folgt das bestehende Gehaltsmodell der neuen Vertriebsstruktur und setzt die richtigen Motivationspunkte?
Die Metamorphose eines vom Außendienst dominierten Vertriebs hin zu einer echten Omnichannel- Organisation ist eine Mammutaufgabe und kann nur als strategisches Projekt unter Teilnahme aller Stakeholder im Unternehmen gelingen. Und der Nutzen? Die zu hebenden Effizienz- und damit Wachstumspotentiale sind enorm. Die Kosten für eine Ressource im Innendienst liegen nicht selten 30% und mehr unter denen einer FTE im Außendienst – bei gleichem Umsatzpotential! Entgegen weit verbreiteter Vorurteile, nach denen im Innendienst oder Telesales mit einer generell geringeren Produktivität pro Mitarbeiter oder Mitarbeiterin zu rechnen ist, zeigt sich in der Praxis, dass es überraschender Weise kein entsprechendes Naturgesetzt gibt und der Innendienst ebenso hohe Umsätze erzielen kann wie der Außendienst – bei geringeren Kosten sowie besserer Mess- und Steuerbarkeit.
Starten Sie jetzt mit dem Wandel zum Multi- oder besser noch Omnichannel-Vertriebsorganisationen! Verbannen Sie das Auto aus dem Kopf.
Head of International Inside Sales Strategy | Berner Omnichannel Trading Holding SE
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